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Das vierte Schulmagazin

11 Schulmagazin - interview mit stefan koch - nicht grundlos. Welche Affekte ich habe, kann ich nur begrenzt steuern, aber wie ich mit diesen Af- fekten umgehe, ist eine andere Frage, die Reflexion einfordert. Mitleid mit dem hauseigenen Angora- kaninchen könnte dazu führen, den Tierarzt auf- zusuchen, und Mitleid mit dem Mastschein könnte den eigenen Fleischverzehr reduzieren oder mich Vegetarier werden lassen. Dies sind alles Fragen, die nicht allein von den Affekten abhängen. Ich denke an die kognitive Entwicklungstheorie des moralischen Urteils bei Lawrence Kohlberg, der auf der Basis der Moraltheorie von Jean Piaget mittels moralischer Dilemmata oder moralisch widerspre- chender Normvorstellungen die Moralkompetenz zu definieren suchte und auf der postkonventionel- len Ebene, welche von den wenigsten erreicht wer- de, den kategorischen Imperativ anführte, der auf einer nochmals erweiterten Stufe mit universellen Grundsätzen, welche soziale Normen transzendie- ren, überhöht wurde. Konkret führt er eine Ret- tungsbootsituation an, die nur noch die Aufnahme eines einzelnen Schiffbrüchigen zulässt, bevor alle untergehen. Zur Auswahl stehen neben Ihrer Frau und den Kindern auch die Schwiegermutter und eine Anzahl von Fremden. Was machen Sie? Stefan Koch: Also mit Dilemmatakonstruktionen haben wir alle unliebsame Erfahrungen. Sie erinnern mich an die Verhörmethoden bei der Befragung zur Kriegsdienstverweigerung in den 80ern. Hier kann man keine allgemeingültigen Antworten geben, aber andeuten kann ich, dass dies philosophisch gesprochen ein Raum für „Spontaneität“ ist. An diesen Beispielen kann man oft zeigen, wie unsere spontanen Reaktionen funktionieren; also unsere spontanen Reaktionen in Bezug auf Mitleid, Freu- de, Trauer, Hass, Wut, Enttäuschung u. a. m. Das bedeutet nicht, dass dies immer auch handlungs- leitende Kriterien sind, aber wie wir funktionieren, was uns als Menschen in ihrer Spontaneität aus- macht, kann man daran gut studieren und natür- lich ethische Dilemmata darstellen. Aber allgemein auflösen wird man die nicht können. Es geht auch nicht so sehr um die Auflösung, viel- mehr um die Begründungszusammenhänge der ge- troffenen Entscheidung in einer solchen Situation. Ausgehend von Ihrem Statement zum reflektierten Affekt des Mitleidsempfinden und der handlungs- leitenden Empathie, das bereits jeweils die Hochzeit von Gefühl und Verstand annoncierte, dachte ich an den Imperativ von Kant zur Moralität von Hand- lung, der nicht hypothetisch gebietet, sondern kate- gorisch veranlassen kann. Stefan Koch: Das geht mir jetzt zu schnell. So wie ich den kate- gorischen Imperativ verstehe, bietet er eine Mög- lichkeit der Reflexion, die wir eben angesprochen hatten. Wie komme ich von meinem Mitleid zu ei- ner handlungsleitenden Erkenntnis. Er ist ein gutes Mittel, allgemeine Maximen beurteilen zu können. Aber mit allgemeinen Maximen kann ich die Ret- tungsbootsituation letztendlich nicht befriedigend erhellen. Insofern bleibt da ein Rest, wenn ich die- sen großen kategorischen Imperativ auf diesen ein- zelnen Fall anwenden wollte. Natürlich haben Sie recht und Lawrence Kohlberg räumt ein, dass nur 5 % der Menschheit sich an ethischen Prinzipien in Analogie zum kategorischen Imperativ orientieren könnten. Kohlberg geht aber noch einen Schritt weiter, wenn er in der Definiti- on moralischer Kompetenz eine weitere Möglichkeit benennt. Er nennt hier Begrifflichkeiten wie univer-

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